Ich weiß von Menschen, die schaffen sich keinen Hund an, weil Hunde high-maintenance-Haustiere sind: Als hoch soziale Säugetiere sind sie auf ihren Familienverband derart angewiesen, dass man sie zum Beispiel nur sehr begrenzt alleine lassen kann. Das geht im Alltag vielleicht für ein paar Stunden, aber sicher nicht den ganzen Tag. Die Urlaubsplanung dreht sich hauptsächlich um die Frage, ob der Wunschort hundegeeignet ist – oder wo der Hund in der Zeit adäquat betreut werden kann. Und dann ist da noch diese tägliche Verpflichtung, aus der man überhaupt nicht raus kommt, egal wie viel Stress, Arbeit, Unlust, Regen oder Kälte im Spiel sind: Das sogenannte Gassi. Wir nennen das ja nicht so, hauptsächlich, weil wir selten in Gassen spazieren gehen. Geographisch bedingt wäre ‚Waldi‘, ‚Wiesi‘ oder ‚Bachi‘ viel angebrachter, aber das ist ja affig – wir nennen es deshalb einfach ‚raus‘. Wie man sich nicht als privilegiert betrachten kann, wenn man jeden Tag ein bis zwei Stunden, an Wochenenden gerne auch deutlich länger, ‚raus‘ darf, ist mir ja ein Rätsel.
Weil:
Raus aus dem Alltag
Meine Alltagsroutinen sind, wie die der meisten Menschen, ziemlich gleichförmig. Deshalb heißen sie ja auch Routinen. Das ist einerseits gut für die Strukturierung des Tages, Jahres, Lebens, aber andererseits auch wenig spannend, und mit Pech sind es keine selbst gewählten Routinen, sondern durch Menschen, Institutionen oder Systeme aufgezwungene. Die Tatsache, dass man mit seinen Hunden raus muss, ist zwar auch eine Routine, aber wie sich das ‚Raus‘ gestaltet eben nicht: Weder der Weg noch das Ziel ist festgelegt, Jahreszeit und Wetter sorgen für Abwechslung, und ob man alleine mit einem Hund oder zu zwanzigst mit acht Hunden geht ist auch ein großer Unterschied. Was während der Raus-Zeit passiert ist ebenfalls höchst variabel: Macht man heute „Strecke“ oder Höhenmeter? Geht man Schwimmen? Steht eine Trainingseinheit an oder wird einfach nur gespielt? Wird es ein Picknick geben?
Zurück zur Natur – und zwar zu Fuß!
Natürlich weiß man auch als normal pendelnder Arbeitnehmer, welche Jahreszeit grade ist. Womöglich musste man ja morgens die Scheiben kratzen. Und aus dem Zugfenster heraus kann man natürlich sehen, dass Felder im Sommer anders aussehen als im Herbst. Eine viel differenziertere Wahrnehmung der Natur zu unterschiedlichen Jahres- und Tageszeiten mit allen Sinnen wird aber möglich, wenn man schlicht näher dran ist: Mit den Füßen im Gras, mit der Nase an den Blumen, mit den Ohren im Wald und mit Wind und Regen im Gesicht.
Echte Ästhetik
Als primäres Augentier wird man als Vertreter der Homo sapiens von optischen Reizen besonders stark angesprochen. Weil unser Gehirn so enorm gut abstrahieren kann, reichen uns Schlüsselreize, um Bilder zu interpretieren, was praktisch ist, wenn man beim Trinken am Wasserloch von einer jagenden Löwin überrascht wird. Man muss zum Überleben also gar nicht alle Informationen, die das Sehzentrum erreichen, verarbeiten – man kann aber, wenn man sich etwas mehr Zeit nimmt (und Löwen sind ja grade bei uns keine besonders dringliche Gefahr), und die höhere Verarbeitungstiefe wird belohnt: Mehr Informationsverarbeitung führt zu höherer kognitiver Aktivierung führt zu neuen Verknüpfungen und ermöglicht neue Erkenntnisse über die Welt. Das wird durch eine hübsche Endorphinausschüttung vom Gehirn belohnt, die wie jeder weiß, symptomatisch von Glücksgefühlen begleitet wird. Deshalb machen schöne und komplexe Dinge glücklich, wenn man sich auf sie einlässt – das gilt natürlich genauso für Kunst und Literatur, aber die Natur muss sich für Ästhetik eben nicht mal anstrengen!
Soziales Schmiermittel
Man stelle sich folgende Situation vor: Eine Gruppe Menschen verabredet sich zu einer Wanderung im Schnee. Es muss verabredet werden, wann, wo und wie lange die Wanderung stattfinden soll, bei Bedarf wird noch festgelegt, wer Punsch, Glühwein, Pappbecher und Spekulatius mitbringt oder beratschlagt, in welcher Pizzeria sechs große Hunde nicht weiter auffallen (ja, das gibt es. Wir essen häufig italienisch.).
Die Wanderung selbst ist anstrengend, macht aber ungeheuer viel Spaß, weil Wandern die am wenigsten kompetitive Sportart ist, die mir einfällt – es entsteht nun wirklich gar kein Konfliktpotential. Dass auch noch genügend Luft bleibt, um sich in vollständigen Sätzen zu unterhalten, ist ein weiterer Pluspunkt für die Förderung der Beziehungen der Wanderer untereinander!
Glückliches Rudel
Alles, was man zusammen erlebt, schweißt zusammen, und das gilt sowohl für Primaten wie auch für Caniden, und natürlich erst recht, wenn diese in artgemischten Rudeln zusammenleben. Das Rausgehen mit den Hunden macht nicht nur individuell glücklich, sondern alle Beteiligten.
Und weil das so ist, gehen wir jeden Tag wieder auf’s Neue raus, und es ist keine Pflicht, sondern das Highlight des Tages!
Superschöne, stimmungsvolle Fotos (auch die ohne sichtbare Carnivoren).
Ich habe Bilder ohne Carnivoren im Artikel?!? Wie sind mir die denn reingerutscht?? 😉
Schön, dass wir uns beim Chemiker-Grillen mal wieder gesehen haben!
Ja, war nett, wenn auch wenig Zeit. Aber einen schicken Hund habt ihr. 🙂